kunst-therapie-spiel
  Therapie
 

 

Dokumentation

des kunsttherapeutischen

Therapieverlaufes

Mit Frau W.

 

durchgeführt

in der Praxis für Ergotherapie Mohr in Esslingen

 

 

im Rahmen des zweisemestrigen

Fachpraktikums

 

dokumentiert in Anlehnung an

den Dokumentationsleitfaden des

anthroposophischen Berufsverbandes BVAKT

 

 

Juni 2004

 

 

 

 

Kerstin Menzel-Mellinghaus

Sirnauerstr. 19

73728 Esslingen


Angaben zur Person des Patienten

Persönliche Daten:

Name:             Frau Hildegard W.

Alter:             80 Jahre

Beruf:             Verwaltungsfachangestellte i.R.

Familienstand:           verwitwet, eine 15 Jahre jüngere Schwester, die mit ihrer Familie in England lebt, Vater und Bruder im Krieg gefallen.

Wohnverhältnisse:

Frau W. lebt alleine in einer kleinen Wohnung, eine befreundete Nachbarin steht ihr bei der Bewältigung der Aktivitäten des täglichen Lebens zur Seite.

Ärztliche Diagnose:

Schlaganfall (Apoplex mit Hemiparese rechts, Aphasie) d.h., es ist vorwiegend die rechte Körperhälfte betroffen

Zugangsweise:

Überweisung durch den Arzt/die Klinik

Kostenträger:

Die Kosten werden von der Krankenkasse übernommen

Verweildauer:

seit ihrem Schlaganfall vor 2 Jahren in ergotherapeutischer Behandlung, davon ca. ½ Jahr 1x/Woche Kunsttherapie

Anzahl der Therapieeinheiten:

18 (je 45 min)

Parallel laufende Therapien:

1x/Woche Ergotherapie, 2x/Woche Krankengymnastik, 1x/Woche Logopädie

Therapeutische Rahmenbedingungen/Setting

Die Therapiestunden fanden im Rahmen von Fr. W.`s ambulanter Ergotherapie in den Räumen der Ergo-Praxis statt. Hier konnten bei Bedarf auch die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel der Praxis in Anspruch genommen werden, wie z.B. ein im Neigungswinkel verstellbarer Tisch oder Stützkissen für den paretischen Arm. Die Therapieform war Einzeltherapie und betrug je Sitzung 45 min.

Vor- und Nachbereitung nahmen je Therapieeinheit jeweils ca. 1h in Anspruch. Die Therapie wurde unter externer Mentorenschaft von Andreas Donat und Dagmar von Freytag, sowie dem behandelnden Ergotherapeuten Herrn Strehler betreut.

Zur Therapeutin

Ich bin 33 Jahre alt, verheiratet und Mutter dreier Söhne. Seit April 2002 habe ich das Vordiplom zur anthroposophischen Kunsttherapeutin, seit September 2002 befinde ich mich im Praktikum im Esslinger Frauenhaus, sowie in einer Ergotherapeutischen Praxis. Die Altersspanne meiner Patienten reicht von 5-80 Jahren.

Der Therapiebeginn obiger Patientin stand relativ am Anfang meines Praktikums.

Krankheitsbild

Der Schlaganfall ist oft ein akutes Ereignis. Es gibt aber auch Verlaufsformen, wo er allmählich, schubweise eintritt oder solche, wo für eine kurze Zeit, oft wenige Stunden, eine Schlaganfallsymptomatik mit Lähmung oder Bewusstseins- und Sprachausfällen existiert, und sich dieses gesamte Symptomatik dann innerhalb weniger Stunden wieder vollständig und ohne Folgen zurückbildet.

Das Charakteristikum des Schlaganfalls ist eine Störung der neuronalen Versorgung. Als Folge tritt im klassischen Fall eine halbseitige Gesichts- und Gliedmaßenlähmung auf, oft verbunden mit Störungen der Sensibilität oder einer unspezifischen Schmerzsymptomatik. Besonders tragisch erleben die Patienten und ihre Angehörigen dieses Krankheitsbild, wenn auch die Sprache davon betroffen ist, sowohl in ihrer motorischen Seite, sich mitzuteilen, wie auch in ihrem sensorischen Anteil, andere zu verstehen.

Der Schlaganfall hat zwei grundsätzliche Ursachen, die Hirnblutung durch ein geplatztes oder undicht gewordenes arterielles Gefäß oder die akute Mangeldurchblutung eines bestimmten Hirnabschnittes durch Verengung und Verschluss eines solchen Gefäßes. Dabei wird z.B. von Verkalkung, Cerebralsklerose (wörtlich übersetzt: Gehirnverhärtung) oder cerebrovaskulärer Insuffizienz (unzureichender Hirndurchblutung) gesprochen. Die Bezeichnungen Verkalkung oder Cerebralsklerose beruhen auf der Beobachtung, dass es in Arterien ähnlich wie in Wasser- oder Heizungsrohren vermehrt zu Kalkablagerungen kommen kann.

Die allgemeine Behandlung oder medizinische Grundversorgung besteht in einer Überwachung und Kontrolle von der Atmung und Herz- Kreislauffunktion. Eine allgemein akzeptierte spezielle Behandlung von Schlaganfällen gibt es trotz jahrzehntelanger Bemühungen zahlloser Forschergruppen auf der ganzen Welt noch immer nicht. Die Behandlungsziele von Schlaganfällen sind die Verhinderung einer weitergehenden Schädigung des Gehirns, die Rückbildung der Folgen und die Verhinderung des Auftretens weiterer Schlaganfälle. An diesen Zielen müssen sich auch die Ansätze spezieller Behandlungsmaßnahmen ausrichten.

Was erwiesen ist, ist welch große Rolle die Zeit spielt, die bis zum Behandlungsbeginn vergeht. Je früher beim Schlaganfall eine gezielte Behandlung einsetzt, desto geringer ist die Gefahr eines irreversiblen Gewebeschadens und damit einer bleibenden Störung:

Therapie und Umgang mit der Erkrankung

Etwa 75-80% aller Schlaganfallpatienten sind von Lähmungen betroffen, weshalb deren Behandlung eine zentrale Bedeutung zukommt. Dies gilt in der akuten Phase und schon vor Einsetzen von Willkürbewegungen insbesondere zur Verhinderung von Komplikationen wie Beinvenenthrombosen, Druckgeschwüren oder Gelenkversteifungen. Die Krankengymnastik hat zum Ziel, die Entstehung von Spastik (krankhaft erhöhte Muskelspannung) zu hemmen und den Aufbau grundlegender Bewegungsabläufe anzubahnen. Sie hilft einerseits die Rückbildung von Ausfällen zu beschleunigen, andererseits können verbliebene Störungen durch Training der Willkürfunktion oder von ausgleichenden Mechanismen verbessert werden. Dadurch kann es auch bei schwerwiegenden Funktionsstörungen noch zu erstaunlichen Besserungen kommen.

Auch die Logopädie (Sprach-, Sprech- und Stimmheilkunde) darf in der Akutbehandlung von Schlaganfallbetroffenen nicht fehlen, sofern entsprechende Störungen vorliegen.

Das Behandlungsziel der Ergotherapie besteht darin, krankheitsbedingt eingeschränkte oder sogar verlorengegangene Bewegungsabläufe und Funktionen zu üben, sinnvoll zu kompensieren oder durch Hilfsmittel zu ersetzen. Motorische Komplexfunktionen wie z.B. essen, Körperpflege oder Ankleiden sollen verbessert und automatisiert werden um dadurch eine weitgehende Selbständigkeit wieder zu erlangen.

Diese vorwiegend funktionellen Therapien können durch Kunsttherapie ergänzt werden, welche an der meist stark strapazierten Psyche der Betroffenen ansetzt.

Bei dem kunsttherapeutischen Ansatz geht es zum Einen darum, auf psychosomatischem Weg der Sklerose entgegenzuwirken, indem eine festgewordene Form wieder ins Fließen gebracht werden soll, die gestalt- und formgebenden Kräfte wieder gelöst und so das „Werdende“ wieder erkennbar gemacht werden soll. Dies geschieht beispielsweise durch das lebendige Formenzeichnen:

Einfache Formen sollen zuerst in Bewegung kommen, schwingen, flüssiger werden und sich schließlich verwandeln. Ebenso können auch überschießende Bewegungsabläufe – auch im Seelischen – durch formbildende Gesetzmäßigkeiten geordnet und so zu gestaltbildenden Kräften werden. Wichtig ist dabei auch über Kreuz und mit Spiegelachsen zu arbeiten, ebenso sollte die Aufrichte angesprochen werden. Dabei werden in besonderem Maße das Gleichgewicht, sowie das eigene Bewusstsein und die Ich-Tätigkeit angesprochen.

Der andere Aspekt einer künstlerischen Therapie ist, die Lebenskräfte mittels farbigem Erleben anzusprechen und zu aktivieren, wie z. B. bei der Depression, die oft mit einem schweren Schicksalsschlag einhergeht. Die Seele wird eingeengt und verdunkelt, so dass der Blick nach draußen, in die umgebende Welt geschwächt oder unmöglich geworden ist. Man wird dem Patienten mit der Maltherapie Hilfestellungen geben können, z.B. durch das malen von Naturstimmungen, Pflanzenbetrachtungen oder Portraits. Die Außenwelt kann dadurch geöffnet und die Sinne stimuliert werden. Die Patienten lernen neu sehen, ihr Interesse an der Welt , an geistiger und körperlicher Nahrung wird geweckt und angeregt.

Kunsttherapeutische Diagnose

Biographische Anamnese

Alleinlebend

Verwandte im Ausland

Pflegende Nachbarin

Viergliedrige Beschreibung der Patientin

Die physische Ebene

Frau W. ist klein von Wuchs, hat einen gedrungenen, rundlich nach vorne in sich zusammengesunkenen Körperbau, sicherlich ist sie im Alter geschrumpft. Der Rumpf ist im Verhältnis zu ihren Gliedmaßen leicht rundlich aber nicht dick. Sie hat lichtes, weißes, gelocktes Haar wie viele Frauen ihres Alters. Ihr Gesicht ist meist nach unten dem Boden zugewandt, ihr Mund steht offen und verliert immer wieder Speichel.

Der gesamten rechten Körperhälfte sieht man der erlittenen Schlaganfall an, sie kann sich jedoch ganz gut selbst bewegen.

Die Ebene des Ätherischen/Vitalen

Ihr Gang wirkt tippelnd und sehr unsicher, sie hält sich wo immer es geht fest (allerdings fährt sie oft auch alleine mit dem Bus nach Hause!). Frau W. hat einen deutlichen Händedruck und lächelt ständig vor sich hin, wirkt dabei aber eher in sich gekehrt.

Ihre Haut ist trocken und ledrig, sie hat eigentlich ein ansprechendes Gesicht, sehr symphatisch und freundlich. Insgesamt ist sie eher zurückgezogen und gebremst (durch ihren Schlaganfall)

Die astralische Ebene

Die Patientin ist von sich aus sehr still und leise, es kommt kein Impuls bezüglich einer Kontaktsuche von ihrer Seite. Wird sie jedoch angesprochen, so reagiert sie sehr erfreut und freundlich, bleibt dabei aber einsilbig. Man kann mit ihr zusammen fürchterlich albern sein, sie versteht viel Spaß und lacht auch gern – genauso schnell kippt ihre Stimmung allerdings ins Gegenteil. Sie versinkt dann förmlich in ihrem Kummer und zerfließt darin in Tränen. Es fällt ihr schwer, aus einer solchen Stimmung wieder aufzutauchen.

Ihre Grundstimmung ist scheu, abwartend, eher depressiv, ihre Fröhlichkeit wirkt trotzdem nicht aufgesetzt.

Im Gespräch reagiert sie z.T. nicht oder nur sehr reduziert, es ist mir nicht klar, ob sie nicht wahrnimmt, oder einfach manchmal keine Lust hat. In anderen Momenten kann sie nämlich sehr redselig sein mit ausgeprägtem schwäbischen Dialekt.

Beim Malen taucht in ihr eine richtig kindliche Freude auf, die ihr sehr gut steht.

Die Ich-Ebene

Durch ihr zurückgezogenes Verhalten ist es schwierig, Frau W. als Persönlichkeit wahrzunehmen. Sie wirkt ein bisschen wie der Spielball im Wind, sich immer an das Äußere anpassend, unfähig, sich aus eigener Kraft heraus zu wehren. Beim Malen taucht sie dann etwas auf, es ist deutlich zu spüren, dass da Jemand ist, der einen ganz ausgeprägten Willen hat. Da legt sie z.B. los, ohne ihre Umgebung noch wahrzunehmen, um einem bestimmten Ziel hinterher zu jagen. An diesem Zustand hält sie dann fest, bis ihr Vorhaben beendet ist. Sie wirkt plötzlich sehr zielgerichtet und äußerst starr.

Sie hat in der Kindheit zum letzten Mal gemalt und ist offen für das was da jetzt wohl kommt, ohne bestimmte Vorstellungen und Wünsche – es soll einfach Spaß machen, „rauskommen tut da sowieso nichts bei mir“

Schlussfolgerung

Unter der zerbrechlichen älteren Dame, die auf den ersten Eindruck freundlich aber sehr in sich zurückgezogen wirkt, schlummert eine lustige, einst sicherlich auch energiegeladene Frau, die es nur sehr schwer akzeptieren kann, dass sie nun auf so viel äußere Unterstützung angewiesen ist. Sie war früher ein sehr selbständiger, vermutlich auch eher eigenwilliger Mensch, was ihr bestimmt als guter Schutz für ihr empfindliches Inneres diente. Auch jetzt ist dieses ständige Hin- und herpendeln zwischen „Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt“ die vorherrschende Stimmungslage. Es gelingt ihr nur sehr schwer, sich ein eigenes Gleichgewicht aufzubauen und zu erhalten, seelisch wie körperlich.

Durch die starke Zurückgezogenheit würde ich Frau W. eher im melancholischen Temperament ansiedeln, sie hat aber auch deutlich sanguinische Anteile.

Aktuelles Beschwerdebild

Aus funktioneller Sicht haben sich die anfänglichen neurologischen Ausfallssymptome der Patientin, darunter die Broca-Aphasie, inzwischen vergleichsweise gut zurückgebildet. Es persistiert eine mittelgradige extrapyramidale und cerebellare Symptomatik, die sich in einer verminderten Steuer- und Regulationsfähigkeit im grob- und feinmotorischen Bereich zeigt. Kompensatorisch versucht die Patientin ihre motorische Ausführung und ihr Gleichgewicht zu verbessern indem sie sich mit einer deutlich erhöhten Muskelspannung und vermehrter Augenkontrolle bewegt. Dies führt andererseits jedoch zu anhaltenden und schmerzhaften Muskelverspannungen und einer gebeugten Haltung. Abgesehen von den Folgen Ihres Schlaganfalls leidet Frau W. auch unter einem hochgradigen Lungenenphysem. Ihre permanente Atemnot verbunden mit Hustenreiz wird verstärkt durch die kyphotische Haltung, die eingeschränkte Beweglichkeit und Mobilität sowie ihren psychischen Leidensdruck:

Die 80 Jährige Patientin leidet sehr unter ihrer Lebenssituation. Am schlimmsten ist für sie die Abhängigkeit von Anderen in vielen Bereichen. Sie möchte Niemandem zur Last fallen und am liebsten würde sie wieder Auto fahren, selbst Briefe schreiben und ihre Verwandten besuchen. Sie kann sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden und ist gleichzeitig zu kraftlos, um sich dagegen aufzubäumen, aktiv darum zu kämpfen. Die Ergotherapie und auch das Malen im Rahmen der Kunsttherapie sind für die Patientin zu einem wichtigen Bestandteil ihres Wochenablaufs geworden. Sie kommt sehr gerne, tankt offensichtlich viel auf – es ist vermutlich wie eine Art Insel für sie geworden

Immer wieder klagt sie über Schmerzen, die mit ihrer Verspannung zusammenhängen, ihr rechter Arm schmerzt eigentlich bei jeder Bewegung, deshalb wird ergotherapeutisch vordergründig an der Lockerung und Beweglichkeit des Rumpfes sowie des Arms im Hand und Schulterbereich gearbeitet, anschließend macht sie Schreibübungen – sie möchte unbedingt wieder selbst schreiben können!

Eingangsübungen und künstlerische Mittel

Beim Schlaganfall handelt es sich um einen Zustand der Verhärtung/Sklerose, d.h. es muss die erstarrte Form wieder ins Fließen gebracht und wenn möglich auch verwandelt werden. Um den Gleichgewichtssinn und beide Körperhälften anzusprechen, ist es wichtig, über Kreuz und mit beiden Händen zu arbeiten. Die rechte muss in die linke Körperhälfte und umgekehrt. Dazu eignet sich besonders die schwingende Lemniskate, waagrecht für das recht-links Empfinden sowie eine flüssige Atmung, sowie auch in der Senkrechten um die Aufrichtekräfte anzusprechen. Wichtig wären auch Metarmophosen jeglicher Art, um die Verwandlungskräfte anzustoßen, beweglich zu machen. Es soll an das Werdende angeknüpft werden.

Aus diesen Gründen wähle ich für die erste Stunde mit Frau W. das Formenzeichnen (Abb.1).

1.       Aufgabe: Einen Kreis malen, sich darin einschwingen, mit beiden Händen in beide Richtungen. In diesem Kreis eine senkrechte Lemniskate entstehen lassen, deren Scheitelpunkte den Kreis berühren. Diese beiden Formen sollen nun solange abwechselnd nachgefahren werden, bis die Form ausgeglichen und ein „guter Fluss“ entstanden ist – auch erkennbar an der gleichmäßigen Atmung !

2.      Aufgabe: Zur Entspannung wähle ich anschließend die liegende Lemniskate, diesmal ohne Umkreis

3.      Aufgabe: Ein Kreis soll von beiden Seiten her schrittweise eingedellt werden, bis schließlich wieder eine lemniskatische Form entsteht.

Ich hatte nach der ersten Stunde den Eindruck, Frau W.  bräuchte dringender noch als ein „Training des Gleichgewichts“ seelische Unterstützung ! Die Bewegung und Be-rührung des Menschen ist bei der Farbe ins Innere/Seelische verlagert, dort findet die Bewegung statt. Diese seelische Berührung und Bewegung hat eine Rückwirkung ins Leibliche, die Seelenbewegungen wirken bis in die Lebensprozesse hinein (z.B. Erwärmung). So beschloss ich, das Naß-in-Naß-Malen zusätzlich anzubieten. Dazu verwende ich feuchtes Therapiepapier und die drei Grundfarben in je einem hellen und einem dunklen Ton.

Kunsttherapeutische Diagnosestellung und Werkbeschreibung

Abbildung 1

Die ersten beiden Stunden wird Frau W. erst mit ergotherapeutischen Übungen gelockert. Sie ist voller Erwartung und lässt sich gerne auf das Neue ein. Sie fühlt sich sicherer, im Sitzen zu arbeiten. Zu diesem Zwecke wird der Tisch im Neigungswinkel verstellt, so dass sich das Blatt aufrecht vor der Patientin befindet.

Den Kreis (Abb..1) beginnt sie mutig und schwungvoll zu malen, lässt ihn auch noch wachsen. Bei der Lemniskate gerät sie ins Stocken, was sich gleich auch in ihrer Atmung ausdrückt – sie bekommt einen Hustenanfall. Anfangs führe ich ihre Hand, bald möchte sie es selbst versuchen. Sie beginnt zaghaft, die Form hängt in der oberen, linken Ecke. Sie findet das komisch, muß über „die schiefe Gurke“ lachen, ist aber begeistert dabei. In der Wiederholung, auch mit Wechsel der Hände und der Richtungen gelingt es ihr, die Gesamtform etwas auszugleichen und in die Mitte zu rücken.

Für ihren rechten Arm ist diese Aufgabe recht anstrengend, deshalb machen wir immer wieder kleine Pausen.

Abbildung 2

Die folgende, liegende Lemniskate fällt Frau W. deutlich leichter. Es entsteht eine – an ihre eigene Körperhaltung erinnernde – in sich zusammengesunkene Form, wobei die linke Seite etwas stärker hängt als die geformtere rechte Seite. Im unteren linken Bereich bricht die Form immer wieder aus, auch der Kreuzungspunkt verschwimmt zu einem „Kreuzungsbereich“ (Abb.2).

Abbildung 3

Mit der dritten und letzten Aufgabe ist die Patientin völlig überfordert, auch sind ihre Kräfte schon recht verbraucht. Der Kreis wird kleiner, dünner und beim Eindellen der Form verliert sie die Orientierung, macht aus dem Kreis ein Oval, weiß dann nicht weiter. Ich führe ihr wieder die Hand ohne Stift, daraufhin geht es besser. Sie arbeitet sehr angestrengt und konzentriert, stockt viel und als sich die Mitte endlich schließt, möchte sie die Übung schnell beenden (Abb.3).

Frau W. wirkt recht erschöpft, aber sie sagt, es hätte ihr gut getan und vor allem Spaß gemacht. Beim abschließenden Gespräch erzählt sie mir, wie schlecht sie sich in ihrer Situation fühlt, dabei beginnt sie fürchterlich zu weinen. Das Ganze wirkt gestaut, völlig verkrampft und verzweifelt. Meinen Vorschlag, zum Formenzeichnen ergänzend auch mit bunten, fröhlichen Farben zu malen, findet sie großartig und erzählt mir gleich, dass ihre Lieblingsfarbe Rot ist.

 

Abbildung 4

Beim zweiten Termin kommt Frau W. freudig strahlend zur Türe hinein, Herr Strehler muss diesmal fast nichts lockern! Sie kann es kaum abwarten zu malen. Als Formenzeichenübung greife ich nochmals die Anfangsübung vom vorherigen Termin auf, diesmal soll die Lemniskate senkrecht und waagrecht eingezeichnet werden, dann soll sie abwechselnd in alle drei Formen hineinschwingen (Abb..4). Die Vielzahl der Richtungen verwirrt Frau W. offensichtlich, aber sie findet das lustig und sucht sich immer wieder einen neuen Einstieg. Sie schafft es dabei sogar, alle drei Formen hintereinander zu durchlaufen. Trotzdem „hakt“ es noch , meist wieder in der unteren linken Ecke. Die stehende Form ist heute sehr aufrecht, der obere Bereich leicht stärker als der untere, der seelische Bereich der waagrechten Ausdehnung ist bei der Gesamtform vorherrschend, dazu „passt“ der unklare Bewusstseinsbereich, der Kreuzungspunkt mit seinem großen Streuwinkel.

Abbildung 5

Als es ans Malen geht leuchtet Frau W. richtiggehend auf. (Abb..5)

Sie beginnt rechts unten mit rot/magenta, geht von rechts oben nach links unten in orange und gelb über, zum Schluss malt sie den blauen Himmel. Zum Einen vermischen sich die Farben, weil sie vor lauter Eifer vergisst, den Pinsel auszuwaschen, zum Anderen achtet sie streng darauf, dass die Farben getrennt bleiben. Das fertige Bild erinnert an einen Kreisausschnitt.

Abbildung 6

Sie ist völlig verzaubert von den strahlenden Farben auf dem nassen Papier und nennt ihr 1.Bild: „ein wunderschöner Sommertag“. Schon nach 5min ist das Bild fertig, Frau W. möchte ein weiteres Bild malen (Abb..6).

Diesmal zieht sie ihr Blatt selbst auf, es entsteht ein roter Kreis im Zentrum mit einer gelben und einer blauen Umrandung. Zum Schluss wird der restliche freie Hintergrund blau ausgefüllt.

Bildbeschreibung

Die physische Ebene

Bild 1 (Abb.5):

Die Patientin wählt das Querformat. Das Bild besteht aus den drei Grundfarben und einer Sekundärfarbe, die flächig nebeneinandergesetzt sind. Rot und Gelb bedecken zusammen mit dem mittigen Orange ¾ des Bildes, das obere ¼ des Bildes ist blau. Trotz wässrigem Farbauftrag sind die Farben kräftig leuchtend, ein Pinselstrich ist nicht mehr zu erkennen. Die Abgrenzungen der Farbflächen voneinander sind verschwommen, aber deutlich zu erkennen. Oben links gibt es einen kleinen grünen Bereich, in dem sich Blau und Gelb überlappen. Die runde Form ist vorherrschend, im Rot sind Stoffinseln zu sehen. Das Bild ist vollständig und in einfachen großen Flächen ausgemalt, am Rand kann man winzige freie Flächen entdecken.

 

Bild 2 (Abb.6):

Das zweite Bild, ebenfalls ein Querformat, wirkt fast wie eine Gesamtansicht des ersten. Hier gibt es ein rotes Zentrum, das komplett von dem umrandenden gelben Ring durchwirkt ist. Das Ganze befindet sich in einer unruhigen, lichten blauen Umgebung. Die Grenzen sind fließend, nur stellenweise klar erkennbar. Im oberen Bereich dringt die blaue Umgebung ins rote Zentrum vor. Dadurch entsteht an einigen Stellen eine „Delle“ in der Kreisform.

Die ätherische Ebene

Bild 1:

Gelb und Orange sind von der Farbintensität her dominant, homogen und undurchlässig, das Blau ist luftiger gemalt, ebenso das Rot. Diesem fehlt die richtige Überzeugungskraft. Es handelt sich nicht um klares Rot, sondern um eine unruhige Fläche, in die verschiedene fremde Bereiche eingedrungen sind und sich nach und nach breit machen. Ein winziger Fleck ist zinnoberrot gemalt, der Rest erscheint eher magentafarben mit viel Orange vermischt. Insgesamt sind die Farben klar und leuchtend – auch die zwei Mischfarben.

Das Bild wurde sehr impulsiv und schnell gemalt, das wässrige Element ist vorherrschend, weshalb die Pinsel- bzw. Strichführung nicht mehr zu erkennen ist.

 

Bild 2:

In diesem Bild hat der mittlere rote Bereich an Intensität gewonnen, beim genaueren Hinsehen fällt allerdings auf, dass Gelb die dominante Rolle spielt – es durchzieht bereits den gesamten roten Bereich. Vom Farbauftrag her ist die blaue Umgebung sehr unruhig gemalt. Das Bild ist im gesamten Farbauftrag weniger intensiv und leuchtend. Es ist licht und luftig, wirkt aber im Vergleich zum vorherigen Bild gedeckt, die Lebenskräfte haben sich deutlich zurückgezogen.

Die astralische Ebene

Bild 1:

Die Gelb-orangene Fläche wirkt absolut dominant, fast schon aggressiv, wie sie von der roten Mitte Besitz ergreift. Das Blau wagt zwar zaghaft den Vorstoß, wird aber auch massiv zurückgedrängt. Dem roten Zentrum ist die Kraft ausgegangen, es wirkt zerfleddert, ist in Auflösung begriffen. Das Ganze wirkt eher schwer, lastend. Die Patientin malte dieses Bild voll überschwellender Begeisterung, sehr impulsiv. Genauso wirkt auch das Ergebnis: bunt leuchtend, voller Licht und Energie. Das Seelische stand hierbei im Vordergrund, von einer willentlichen Führung war nichts zu spüren.

 

Bild 2:

Das Bild wirkt eher flüchtig gemalt, was zum einen an dem durchlässigen Farbauftrag, zum anderen an den unruhigen Flächen liegt, evtl. war nicht mehr die anfängliche Kraft vorhanden. Auch sind hier die Grenzen nicht klar definiert, sie sind im Begriff, sich aufzulösen. Die Form wurde wesentlich geführter und gehaltener gemalt, auch war das Papier trockener. Ein kurzer, atemloser Pinselstrich ist im Blau zu erkennen.

Die Ich-Ebene

Bild 1:

Das Bild leuchtet sehr intensiv, es drängt sich einem förmlich auf. Das Seelische (mit seiner Farbigkeit und seinem wässrigen Auftrag) ist vorherrschend, es hat das Ich völlig überrannt. Der einzige deutlich zu erkennende Ich-Impuls ist das Bemühen, die Farben getrennt nebeneinander zu malen, das Orange ist im Überschwang zufällig entstanden.

Dabei hat die Form allerdings keine allzu große Rolle gespielt, auch hier stand der Zufall Pate. Bei all dieser Zufälligkeit ist das Bild sehr ausdrucksstark geworden

Bild 2:

Dieses Bild wirkt weitaus geführter und konzentrierter als das vorherige – evtl. weil jetzt die gesamte Form zu sehen ist? Auch ist die Kreisform einigermaßen ausgeglichen (für eine Schlaganfallpatientin) und befindet sich im Zentrum des Bildes. Trotz allen Bemühungen scheint sich das Bild langsam aufzulösen, die Grenzen verschwinden immer mehr, der Ausdruck ist sehr schwach, das Zentrum dominant. Die gestaltete Form schwebt im Raum, hat keinen Halt.

Zusammenfassung

Bei den Formenzeichnungen ist deutlich die linke betroffene Seite zu erkennen. Hier gerät Frau W. regelmäßig aus dem Schwung und dadurch aus dem Konzept. Der fehlende Kreuzungspunkt lässt auf mangelnde Konzentrationskräfte, sowie ein unsicheres Ich schließen. Bei guter seelischer Verfassung scheint die Aufrichte kein Problem zu sein, in dem horizontalen, seelischen Bereich fehlt die nötige Spannung, die Form sinkt ab.

Das erste gemalte Bild zeigt zum Einen die starke innere-ätherische Beteiligung der Patientin, zum Anderen wird auch deren Überschwang deutlich. Hier müsste das Ich ordnend eingreifen, sich um das richtige Maß bemühen. Der physische Anteil ist, wie im roten Bereich von Bild 1 und im gesamten 2.Bild zu erkennen, durchsichtig, hart und trocken. Die Stoffinseln (Bild1) weisen auf die Sklerose hin. In diesen hart gewordenen physischen Leib kann das Astralische nur schwer formend eingreifen.

 

Therapieziel

Ziel aus kunsttherapeutischer Sicht ist, dass die Patientin seelisch sowie körperlich wieder etwas mehr ins Gleichgewicht kommt und dadurch ihren verkrampften Zustand loslassen kann. Ihre Ich-Kräfte und das damit verbundene Selbstbewusstsein sollen angesprochen und aktiviert werden. Diese könnten dann ordnend in den gelösten seelischen Bereich einwirken und so ein ständiges Ausfließen verhindern.

Kurzfristiges Ziel:

Frau W. soll in erster Linie etwas Schönes erleben dürfen, Balsam für die Seele erhalten.

Für die Aufrichte- und Formkraft, sowie einen gleichmäßigen dynamischen Fluss der Bewegung sowie der Atmung möchte ich den Beginn der Stunde jeweils mit Übungen aus dem Formenzeichnen gestalten. Darauf aufbauend soll Frau W. im zweiten, malerischen Teil Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten für ihren seelischen Bereich erhalten.

Therapieverlauf

Zur Dokumentation des Therapieverlaufs habe ich einige Bilder ausgewählt. Die große Anzahl der tatsächlich entstandenen Werke würde hier den Rahmen sprengen!

3.Stunde:

Aufgabenstellung/Gestaltung der Therapiestunden

Formenzeichnen:

Frau W. sollte eine einfache Spiegelungsübung zeichnen, anschließend die beiden Hälften zu einer fließenden Form miteinander verbinden.

Nass-in-nass-Malen:

Die Patientin äußerte den Wunsch, grün mischen zu dürfen, überhaupt war sie noch am schwelgen vom letzten Termin. Ich ließ sie frei gestalten, das war ihr offensichtlich am liebsten.

Bildbeschreibung und therapeutischer Prozess

Das Formenzeichnen hat Frau W. recht sicher gemeistert, sie kam mit beiden Händen in eine fließende Bewegung hinein. Auch die Spiegelung gelang nach kurzem Nachdenken recht gleichmäßig. Insgesamt wollte sie diese Übung zügig hinter sich bringen, um endlich malen zu dürfen. Hier stürzt sie sich dann auch gleich ins Geschehen. Noch während ihrer Erklärungen, was sie denn alles malen wolle, fängt sie bereits an, übereifrig und ohne erkennbares KonzeptFarbe aufzutragen. Der Pinsel wird übergangslos von einem Farbgläschen ins nächste getaucht, es entsteht recht bald ein ziemliches Durcheinander, was aber von Frau W. nicht wahrgenommen wird. Ihr Vorgehen wirkt achtlos, erinnert an eine süchtige, ausgehungerte Person. Sie ist mit all ihren Sinnen im Bild/im Geschehen, aber nicht in dem, was sie da tut! Ich selbst gerate in eine Stress-Situation, da ich darum bemüht bin, die ganze Situation nicht ins Chaos abrutschen zu lassen und Frau W. aber in keinster Weise auf meine Anweisungen reagiert. Frau W.`s Pinselstrich ist kurz und atemlos, dabei kratzt er trotz den Wassermassen übers Papier.

Abbildung 7

Es entstehen insgesamt zwei Bilder mit demselben Motiv: einem Regenbogen auf grüner Wiese (Abb.7). Beim ersten Bild ist das wässrige Element vorherrschend. Es gibt keine klaren Übergänge und keine klaren Grundfarben. Die Formen selbst sind stockend, nicht flüssig gemalt, die beiden Enden des Regenbogens sind eher zufällig, sie berühren nicht gleichmäßig den Boden. Bei diesem Bild führte das seelische Element Regie, es hat sogar den mangelnden Form-fluss z.T. vertuscht, freie Flächen sowie unruhige Formen und Kanten wurden verwässert und dadurch ausgeglichen.

Beim zweiten Bild geht die Patientin auf meinen Vorschlag ein, es mit weniger Wasser und einem dünneren Pinsel zu versuchen. Die Farben werden kräftiger, die Form etwas geführter, der Regenbogen steht jetzt mit beiden Enden auf dem Boden. Trotzdem ist alles noch sehr wässrig, die Farben und Formen fließen auch hier ineinander. Das malen strengt Frau W. sichtlich an, auf dem Bild sind deutliche Kratzspuren zu erkennen.

Die Frage nach der Realität, wie sieht denn ein Regenbogen aus, kann sie nicht beantworten (Bezug zum Schlaganfall/Realitätsverlust).

4.Stunde:

Aufgabenstellung/Gestaltung der Therapiestunde:

Ich möchte Frau W. stärker in die Aufrichte sowie in ihre Formkräfte bringen, außerdem male ich neben ihr dasselbe Thema um ihr eine Orientierungsmöglichkeit zu geben. Beim Formenzeichnen wähle ich das Hochformat, sie soll eine doppelte stehende Lemniskate mit Umkreis nachfahren, bei der Naß-in-naß Übung, ebenfalls im Hochformat, soll zuerst eine gelbe Fläche, die sich nach unten verdichtet entstehen. Danach soll von unten nach oben blau gestaltend dazukommen (z.B. eine Pflanze), evtl. bleibt dann noch Zeit für die eigene Ausgestaltung oder ein weiteres freies Bild ( ohne mein Vorbild ).

 
   
 
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